Geschichten aus Hattenhofen
Sophia aus der Ukraine am 1.4.2022
Wenn die Freiheit einen Namen hat, dann ist dieser Name die Ukraine.
Es ist leider so, dass ein Grund für das heutige Treffen nicht fröhlich ist. Alle wissen ihn. Heute sind hier meine Mutter, mein Bruder, die Familie meines Onkels und Mamas Freundin. Mein Vater, mein Onkel und mein Opa sind in der Ukraine geblieben.
Wir alle sind am 24. Februar von Explosionen aufgewacht. Unser Weg hierher hat eine Woche gedauert. Heute sind wir sicher. Wir sind sehr dankbar Ihrem Land für Hilfen, die Sie der Ukraine leisten: militärisch, medizinisch, humanitär. Wir sind sehr dankbar für Frau Heidi und Herrn Jürgen, dass sie uns als Familie angenommen haben. Wir sind Natalia Buraga unglaublich dankbar, die uns zuerst getroffen hat wie die liebsten Gäste, und sie hilft jede Minute. Aber ich bitte Sie, sich daran zu erinnern, dass viele Menschen in der Ukraine auch Ihre Hilfe brauchen. Menschen aus Mariupol, Charkiw, Sumy, Irpin, Bucha, Chernigow, Mykolaiv, Donbass.
Unser Land, unsere Menschen brauchen Hilfe.Geschichten und Gerüchte
Was kursieren doch für „Geschichten“ über Flüchtlinge!
Nein, sie bekommen kein Handy gestellt! Das müssen sie sich selber kaufen. Das ist die einzige Verbindungsmöglichkeit zu ihren Familien, also kein Luxus!
Nein, sie haben keine freie Fahrt im Landkreis Göppingen! Aber wir sind sehr froh, dass sie seit einiger Zeit ein Sozialticket für 30€ im Monat kaufen können, wie die Bezieher von Hartz IV- Leistungen auch.
Nein, sie bekommen keinen Anwalt umsonst! Wenn ein Asylbewerber nach seiner Anhörung abgelehnt wird, kann Klage erhoben werden, die Anwaltskosten müssen aber von den Asylbewerbern aufgebracht werden, zwischen 500€ und 1400€ pro Fall, in Raten von 50€ monatlich. Das ist natürlich ein harter Brocken. Eine Spende der Kirchengemeinden und das Opfer bei Friedensgebeten konnten ein klein wenig helfen.
Nein, sie können nicht mal schnell heiraten, um sich ein Bleiberecht zu erwerben. Wir erleben es an einem Togolesen, der seit Frühjahr 2018 eine deutsche Frau heiraten will. Es mussten fünf Papiere aus Togo beschafft werden, für einige hundert Euro. Beglaubigungen, Dolmetscher… Ende April 2020 konnten sie schließlich heiraten. Aber - er lebt in Göppingen, sie in Bayern. Die „Grenzprobleme“ waren nach fast einem Jahr im März 2021 (!) behoben - er durfte nach Bayern ziehen!
Nun war das Asylverfahren beendet, er sollte zurück nach Togo und von dort mit Visum wieder einreisen, um bei seiner Frau bleiben zu dürfen. Das konnte die Anwältin abwenden. Und jetzt, Mai 2022, nach 2 Jahren, warten sie immer noch auf seine Aufenthaltserlaubnis.
(Nein, sie sind nicht faul) … die Ablehnung kommt und da kein Pass da ist, kann die Arbeitserlaubnis entzogen werden. Arbeit heißt oft Zeitarbeit, nach drei Monaten wird gekündigt. Neue Arbeitssuche! Und für eine Ausbildung braucht es jetzt das sehr anspruchsvolle B2-Sprachniveau!
Nein, kein Familiennachzug! Eine afghanische Familie wurde bei der Flucht im Iran getrennt. Der alte Vater kam mit drei jugendlichen Kindern nach Göppingen, die Mutter mit der anderen Schwester war lange verschollen. Nun ist sie in Pakistan aufgetaucht. Familiennachzug? Die Schwester ist über 18, null Chance. Die Mutter müsste Deutsch lernen (Wo? Wie?), der Vater (70 Jahre) lebt von Sozialleistungen, aber die beiden Söhne arbeiten und die Tochter macht eine Ausbildung. Ich musste ihnen sagen, dass die Mutter keine Chance hat, zu ihrem Mann und den drei Kindern nach Deutschland zu kommen.
Nein, sie sind nicht faul! Besonders die Afghanen wollen sofort arbeiten, was oft gelingt. Dann kommt der Deutschkurs, weshalb Abstriche bei der Arbeitszeit gemacht werden müssen. Und wenn eine Ablehnung kommt, wird die Arbeitserlaubnis in der Regel entzogen. Obwohl Abschiebungen aus Baden-Württemberg nach Afghanistan selten sind. Es ist nicht einzusehen, dass diese willigen jungen Männer zuhause herumsitzen müssen, mit all ihren Ängsten. Und mit dem Vorwurf, sie seien Schmarotzer.
Ja, sie brauchen Identitätspapiere. Gambier müssten diese in Gambia selbst besorgen. (Geht’s noch?) Afghanen fahren zur Botschaft in München, bekommen vielleicht mal einen Termin, brauchen in Kabul Vertraute oder einen Anwalt. Das kostet auch wieder einige hundert Euro und einige Monate Zeit. Und nach der Geburtsurkunde muss noch ein Pass besorgt werden. Der Nigerianer muss nach Berlin zur Botschaft…
Sie verstehen vielleicht, dass wir als Freundeskreis bemüht sind, ein wenig Unterstützung zu leisten.Marianne Fuchs